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Prof. Dr. Dr. Oliver Hoffmann

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Geht Ihnen Weihnachten auch so sehr auf die Nerven wie mir?

Ja. Weihnachten geht mir auf die Nerven. Und nein, das ist kein „inneres Kind“, das geheilt werden will. Das ist ein erwachsenes Nervensystem, das erkennt: Hier lĂ€uft eine gesellschaftliche Pflichtinszenierung, die sich als WĂ€rme tarnt, aber in Wahrheit vor allem eines produziert - Druck.

Weihnachten ist die Zeit, in der Menschen so tun, als hĂ€tten sie plötzlich eine Seele im Sonderangebot entdeckt. Elf Monate lang wird NĂ€he delegiert, Freundlichkeit rationalisiert. Und dann, im Dezember, wird alles nachgeholt - mit einem Pathos, das man sonst nur aus Staatsakten kennt. Der Kalender zwingt uns zu GefĂŒhlen. Und das ist psychologisch ungefĂ€hr so sinnvoll, wie sich vorzunehmen, am Donnerstag um 18 Uhr spontan zu sein.

Der Grund, warum mich das nervt, ist ziemlich einfach: Weihnachten ist nicht das Fest der Liebe.
Es ist das Fest der Erwartungen.
Und Erwartungen sind die aggressivste Form von Hoffnung. Man erwartet Harmonie, Dankbarkeit, „besinnliche Stimmung“, perfekte Geschenke, perfekte Familienbilder. Und weil niemand das leisten kann, wird die Differenz zwischen Ideal und RealitĂ€t mit passiv-aggressiver Freundlichkeit zugeschmiert. Die Psychologie nennt das kognitive Dissonanz: Wenn das Bild nicht stimmt, wird nicht das Bild korrigiert - sondern die RealitĂ€t beschuldigt.

Und dann diese Geschenke. Diese kleinen, teuer verpackten SchuldabtrĂ€ge. Man kann ein Jahr lang emotional abwesend sein und es dann mit einem Pullover „wiedergutmachen“, der aussieht wie eine Strafe. Beziehung wird zur Transaktion: Ich gebe dir etwas, damit wir nicht ĂŒber das reden mĂŒssen, was fehlt.
Das ist keine GroßzĂŒgigkeit.
Das ist Konfliktvermeidung.

Ich sehe leider immer die Mechanik. Weihnachten arbeitet mit sozialer Erpressung. Wer mitmacht, gilt als „warm“. Wer nicht mitmacht, als „kalt“. Das ist klassisches Gruppendenken: KonformitĂ€t wird als Moral verkauft. Und wer abweicht, wird emotional sanktioniert. Nicht mit Argumenten; mit Blicken.

Was mich daran wirklich immer fasziniert: Wie schnell erwachsene Menschen regressieren. Plötzlich wird wieder gezÀhlt, verglichen, gekrÀnkt. Wer hat wen eingeladen? Wer hat wie viel geschenkt? Wer ruft wen an? Weihnachten ist das jÀhrliche Audit der Beziehungskonten; nur ohne Transparenz, ohne Regeln und mit maximaler KrÀnkungsbereitschaft. Der Mensch liebt Rituale, aber er liebt noch mehr: Recht behalten in seinen EnttÀuschungen.

Und trotzdem: Ich verstehe, warum Weihnachten existiert. Es ist ein kultureller Notfallknopf. Ein symbolischer Versuch, den sozialen Zusammenhalt zu retten, weil er im Alltag zu teuer geworden ist. Nur: Ein Notfallknopf ersetzt keine Wartung. Wer NĂ€he nur im Dezember ĂŒbt, erlebt sie im Rest des Jahres als Ausnahmezustand.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin nicht gegen Liebe, wohl aber gegen ihre Zwangsverordnung. Und wenn es Sie auch nervt: Willkommen im Klub.
Wir sind nicht unbesinnlich.
Wir sind nur allergisch gegen Inszenierung.
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Wir haben gelernt, GefĂŒhle zu managen - statt endlich die RealitĂ€t zu verĂ€ndern, die sie auslöst.

Wir reden in Unternehmen obsessiv ĂŒber „Mindset“. Als wĂ€re die Psyche ein Whiteboard, auf dem man ein paar GlaubenssĂ€tze auswischt, neue SprĂŒche hinschreibt - und plötzlich passt alles. „Growth Mindset“, „Reframing“, „positiv denken“. Psychologisch ist das oft nichts anderes als: GefĂŒhle ĂŒbermalen, ohne die RealitĂ€t zu verĂ€ndern.

Wer ernsthaft verstehen will, wie es Menschen geht, beginnt nicht mit Mindset, sondern mit einer Affektbilanz.
Welche GefĂŒhle tauchen tatsĂ€chlich auf; nicht im Workshop, sondern Montagmorgen um 7:30 Uhr, vor dem Kundentermin, nach dem Meeting mit der FĂŒhrungskraft?
Wo dominiert Ärger, wo MĂŒdigkeit, wo Angst, wo stille Verachtung?

Diese Affekte sind keine Defekte, sondern Buchungen in der inneren Ökonomie. Sie zeigen, wie gut oder schlecht das System zur RealitĂ€t passt.

Mindset-Coaching setzt allerdings genau da an, wo es bequem wird: Es erklĂ€rt die GefĂŒhle zur Privatsache und schiebt die Verantwortung nach innen. Nicht die Struktur ist toxisch, sondern deine Haltung. Nicht das Ziel ist absurd, sondern dein Glaubenssatz limitiert dich. So wird die Organisation entlastet - und der Einzelne psychologisch in Haft genommen.

Eine ehrliche Affektbilanz wÀre das Gegenteil.
Sie fragt: Was sagen uns die negativen GefĂŒhle ĂŒber unsere Arbeitsverdichtung, unsere Rollen, unsere FĂŒhrung, unsere Ziele?
Wo sind Angst und Ärger keine Störung, sondern völlig angemessene Reaktion auf Überforderung, Sinnverlust oder verdeckte DemĂŒtigung?
Und was mĂŒsste sich im System Ă€ndern, damit die Affekte sich verĂ€ndern dĂŒrfen - ohne dass man sie wegcoacht?

Solange Unternehmen Mindset-Rhetorik nutzen, um sich vor struktureller Verantwortung zu drĂŒcken, bleibt Psychologie ein Feigenblatt. Reif wird es erst, wenn Affekte wieder als Daten gelesen werden. Nicht: „Wie kriegen wir die Leute positiver?“ Sondern: „Was in unserer RealitĂ€t macht sie zu Recht negativ?“
An diesem Punkt beginnt nicht Selbstoptimierung, sondern FĂŒhrung.

Wer mehr dazu verstehen will wird in meinem neuen Buch "Negative Psychologie" im BusinessVillage - Verlag fĂŒr die Wirtschaft fĂŒndig.
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